Langzeitbelichtung am Tag - Eine Anleitung 

von Nicola Lederer 

In meinen Fotokursen taucht immer wieder die Frage auf, wie man Wasser weich und fließend abbildet, Wolken verwischt oder den bekannten glatten Effekt bei Langzeitbelichtungen erzielt. Solche Bilder entstehen durch verlängerte Belichtungszeiten. In dieser Anleitung erfährst du Schritt für Schritt, wie du beeindruckende Langzeitaufnahmen bei Tageslicht machst.

f/7.1 | 20 sec | 16 mm | ISO 100 | ND 1000

1. Grundlagen der Belichtungszeit 

Bevor wir uns tiefer mit der Langzeitbelichtung befassen, schauen wir uns die Grundlagen der Belichtungszeit an.

Was bedeutet Belichtungszeit? 

Die Belichtungszeit, auch als Verschlusszeit bekannt, bezeichnet die Dauer, in der Licht durch das Objektiv auf den Kamerasensor trifft. Je länger der Verschluss geöffnet ist, desto mehr Licht wird erfasst. Das ist vor allem in dunkleren Umgebungen wichtig, während bei hellem Tageslicht eine kurze Belichtungszeit genügt.

Die Anzeige der Belichtungszeit erfolgt meist in Sekundenbruchteilen:

Wie wirkt sich die Belichtungszeit auf das Bild aus? 

Kurze Belichtungszeiten (z.B. 1/250 Sekunde) frieren Bewegungen ein und lassen Motive gestochen scharf erscheinen. Mit extrem kurzen Zeiten (z.B. 1/2000 Sekunde) lassen sich sogar einzelne Wassertropfen im Flug erfassen.

Längere Belichtungszeiten (z.B. 1/15 Sekunde) führen dazu, dass sich bewegende Objekte verschwimmen, während statische Elemente scharf bleiben. Dies eröffnet kreative Gestaltungsmöglichkeiten – etwa verschwommene Menschenmengen oder weiche Wasserbewegungen. Mit sehr langen Belichtungszeiten (ab 2 Sekunden) kann Wasser in Fotos wie ein glatter Schleier wirken.

f/5.6 | 1/500 sec | 200 mm | ISO 100

Nicht nur bei Personen, sondern auch bei Wasser ist die Belichtungszeit entscheidend für die Bildgestaltung. Eine längere Belichtungszeit verwandelt Wasser in einen sanften Schleier (z.B. 1/8) oder glättet es vollständig (z.B. ab 2s). Das folgende Beispiel zeigt, wie sich die Belichtungszeit auf die Darstellung eines Wasserfalls auswirkt.

f/7.1 | 1.6 sec | 70 mm | ISO 100 | ND 64

2. Fotografieren mit einem ND-Filter 

Wenn du dich mit Langzeitbelichtungen beschäftigst, wirst du schnell feststellen, dass dabei viel Licht auf den Sensor trifft. Möchtest du eine Langzeitbelichtung bei Tageslicht machen, stößt du ohne spezielle Ausrüstung auf ein Problem – das Bild würde überbelichtet und als weißer Fleck erscheinen. Um dies zu vermeiden, benötigst du einen ND-Filter, der auch als Graufilter bekannt ist. 

 Ein ND-Filter ist gleichmäßig dunkel getönt und reduziert die Lichtmenge, die auf den Sensor gelangt. Dadurch wird es möglich, trotz hellem Tageslicht längere Belichtungszeiten zu verwenden. ND-Filter sind in unterschiedlichen Stärken erhältlich. Auf den Filtern sind in der Regel zwei Werte angegeben: die optische Dichte und der Faktor für die Belichtungszeitverlängerung. 

 Zu den häufigsten Varianten gehören ND8, ND64 und ND1000. Ein ND-Filter mit der Dichte 3,0 sorgt für eine Abdunklung um 10 Blendenstufen. Das bedeutet, dass du die Belichtungszeit im Vergleich zu normalen Lichtverhältnissen um das Tausendfache verlängern kannst.

Sieh dir hier selbst den Unterschied zwischen kurzer und langer Belichtungszeit an. 

Ich empfehle das NiSi Filtersystem.

Die Filter dieses Systems bestehen aus hochwertigem Glas und sind mit einer doppelt aufgetragenen Nano-Beschichtung versehen. Das Filterset zeichnet sich durch eine exzellente Verarbeitung aus und eignet sich perfekt für hochwertige Fotos. 

Um die passende Belichtungszeit bei der Verwendung eines ND-Filters zu ermitteln, stehen dir mehrere Methoden zur Verfügung:

  1. Verwende den Live-View-Modus deiner Kamera: Dieser Modus zeigt dir eine Vorschau des fertigen Bildes, sodass du die Auswirkungen der Belichtungszeit in Echtzeit sehen kannst. Drehe das Einstellrad, um die Belichtungszeit anzupassen, und beobachte, wie sich die Helligkeit verändert. Bei bestimmten Nikon-Modellen musst du eventuell die „Exposure Preview“ aktivieren, um diese Anpassungen sichtbar zu machen. Eine Anleitung findest du in Dereks Video

  2. Berechne die Belichtungszeit mit einer App: Es gibt viele nützliche Apps für iPhone und Android, die dir helfen, die richtige Belichtungszeit zu bestimmen.

  3. Nutze eine Tabelle zur Bestimmung der Belichtungszeit: Es gibt Tabellen, die dir die entsprechende Belichtungszeit für verschiedene ND-Filterstärken anzeigen. (siehe unten) 

  4. Berechne die Belichtungszeit mit einer einfachen Formel: Du multiplizierst die Ausgangsbelichtungszeit mit dem Faktor des verwendeten Filters. Zum Beispiel: Ohne Filter beträgt die Belichtungszeit 1/10 Sekunde. Wenn du einen ND 3.0 Filter verwendest, der einen Faktor von 1000 hat, dann multiplizierst du 1/10 Sekunde mit 1000. Das ergibt eine Belichtungszeit von 100 Sekunden.

Ich persönlich bevorzuge den Live-View-Modus als Methode (Nummer 1), da er mir eine schnelle und visuelle Rückmeldung zu meinen Einstellungen gibt.

3. Beispiele für Langzeitbelichtungen bei Tageslicht

Verschwommene Wolken und lebendige Farben beim Sonnenuntergang

f/8 | 91 Sek. | 31 mm | ISO 100 | ND 1000

Extrem flaches Wasser

f/10 | 68 Sek. | 17 mm | ISO 160 | ND 1000

Bewegung und Dynamik festhalten

f/6.3 | 6 Sek. | 35 mm | ISO 320 | ND 64

Ein fast malerischer Effekt des Wassers und des Gondoliere

f/7.1 | 2,5 Sek. | 84 mm | ISO 100 | ND 1000

Verwischte Wolken

f/9 | 25 Sek. | 19 mm | ISO 100 | ND 1000

4. Langzeitbelichtung mit ND-Filter: Schritt-für-Schritt-Anleitung

Im Folgenden zeige ich dir, wie ich eine Langzeitbelichtung mit einem ND-Filter angehe. Diese Schritt-für-Schritt-Anleitung hilft dir dabei, die richtige Technik zu finden:

Schritt 1:

Montiere deine Kamera sicher auf das Stativ und wähle den besten Standpunkt für dein Motiv. Achte darauf, dass das Stativ stabil steht. Sollte es windig sein, kannst du deinen Rucksack an den Haken des Stativs hängen, um zusätzliche Stabilität zu gewährleisten. Blicke durch den Sucher und passe das Stativ so an, dass du den gewünschten Bildausschnitt hast.

Schritt 2:

Setze das Wahlrad auf den manuellen Modus (M) und wähle die Blende, die du für deine Aufnahme verwenden möchtest. In der Landschaftsfotografie empfiehlt es sich, eine Blende zwischen f/8 und f/13 zu wählen. Falls du noch Unterstützung bei der manuellen Belichtung benötigst, empfehle ich dir mein kostenloses Fotografie-Training.

Schritt 3:

Stelle den Auslöser auf eine 2-Sekunden. Diese Zeit gibt der Kamera und dem Stativ die Möglichkeit, sich nach dem manuellen Auslösen zu stabilisieren und minimiert Verwacklungen. Alternativ kannst du auch einen Fernauslöser verwenden.

Schritt 4:

Deaktiviere den Bildstabilisator an deinem Objektiv. Der Stabilisator ist dafür ausgelegt, Verwackelungen zu kompensieren, was bei Verwendung eines Stativs jedoch zu einer leichten Unschärfe führen kann.


Schritt 5:

Wenn du einen ND 3.0 Filter verwendest, der eine Belichtungszeit von 1000-facher Länge ermöglicht, empfiehlt es sich, bei Spiegelreflexkameras die Spiegelvorauslösung zu aktivieren. 

Schritt 6: 

Schalte in den Live-View-Modus und stelle den Fokus auf den gewünschten Punkt. Bei Landschaftsaufnahmen fokussierst du üblicherweise etwa ein Drittel des Bildes ein. Sobald du den Auslöser halb drückst, misst die Kamera die Belichtung. Überprüfe die Skala und passe die Belichtungszeit an, bis der Pfeil auf Null steht. Dies ist die Belichtungszeit, die du ohne ND-Filter für eine korrekte Belichtung verwenden würdest, vorausgesetzt, die Lichtverhältnisse sind normal und es gibt keine großen Helligkeitsunterschiede.

Schritt 7: 

Schraube den ND-Filter auf das Objektiv. Jetzt wird auf dem Display zunächst nichts sichtbar sein. Drehe an der Belichtungszeit, bis du dein Motiv wieder klar und mit der gewünschten Helligkeit siehst. Wenn du die passende Helligkeit erreicht hast, löse die Aufnahme aus. Bei Nikon-Modellen musst du eventuell die „Exposure Preview“ auf „ON“ setzen. 

 Der Live-View-Modus erlaubt es dir, den Bildausschnitt zu ändern oder den Fokus auch während der Nutzung des ND-Filters anzupassen. Experimentiere mit verschiedenen Bildausschnitten und Belichtungszeiten, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

f/5.6 | 5 Sek. | 20 mm | ISO 100 | ND 1000

5. Bulb-Modus – Belichtungen länger als 30 Sekunden

Wenn du am Abend fotografierst und einen ND-Filter verwendest, könnte es sein, dass eine Belichtungszeit von 30 Sekunden im manuellen Modus nicht ausreicht. Keine Sorge – 30 Sekunden sind noch nicht das Ende der Möglichkeiten. Für längere Belichtungszeiten gibt es den sogenannten Bulb-Modus. Dieser ist auf dem Motivwahlrad als „B“ markiert. Im Bulb-Modus bleibt der Verschluss so lange geöffnet, wie du den Auslöser gedrückt hältst, was Langzeitbelichtungen von mehreren Stunden ermöglicht. Um den Bulb-Modus zu nutzen, benötigst du jedoch eine Fernbedienung oder einen Fernauslöser.


So gehst du Schritt für Schritt vor:

Schritt 1:
Wie bei den vorherigen Methoden, stelle deine Kamera auf das Stativ und wähle den gewünschten Standort für dein Motiv.

Schritt 2:
Drehe das Wahlrad auf „B“ für den Bulb-Modus und wähle die Blende, mit der du dein Motiv aufnehmen möchtest. Olympus-Kameras bieten zwei Varianten: „Live-Bulb“ und „Live-Time“. Bei „Live-Bulb“ hältst du den Auslöser so lange gedrückt, wie du möchtest, während bei „Live-Time“ der erste Druck den Auslöser aktiviert und der zweite Druck die Aufnahme stoppt.

Schritt 3:
Setze den Auslöser auf eine 2-Sekunden-Verzögerung, um eine Fernbedienung oder einen Fernauslöser zu verwenden.

Schritt 4:
Deaktiviere den Bildstabilisator an deinem Objektiv. Der Stabilisator gleicht Verwackelungen aus, aber bei Aufnahmen mit Stativ kann er in einigen Fällen zu Unschärfen führen.

Schritt 5:
Da du länger als 30 Sekunden belichtest, solltest du auch die Spiegelvorauslösung bei Spiegelreflexkameras aktivieren, um Vibrationen zu minimieren.

Schritt 6:
Schalte in den Live-View-Modus, wechsle auf manuellen Fokus und stelle den Fokuspunkt auf die gewünschte Stelle. Bei Landschaftsaufnahmen fokussierst du in der Regel etwa ein Drittel ins Bild. Vergrößere das Bild, indem du auf das Lupensymbol mit dem „+“ tippst, und drehe den Fokusring, bis dein Motiv scharf gestellt ist. Sobald du den Auslöser halb durchdrückst, misst die Kamera die Belichtung. Überprüfe die Skala und drehe die Belichtungszeit so lange, bis der Pfeil auf Null steht. Dies ist die Belichtungszeit, die du ohne ND-Filter für eine korrekte Belichtung verwenden würdest, vorausgesetzt, die Lichtverhältnisse sind „normal“. Achte darauf, den Fokus danach nicht mehr zu verändern.

Schritt 7:
Schraube den ND-Filter auf das Objektiv und berechne die Belichtungszeit mit den oben beschriebenen Hilfsmethoden. Zu Beginn könnte eine App die einfachste Methode sein. Merke dir die errechnete Zeit. Drücke dann den Auslöser der Fernbedienung und stoppe die Zeit, indem du erneut auslöst, wenn die berechnete Zeit abgelaufen ist. Vielleicht brauchst du einige Versuche, um die optimale Belichtung zu finden. Mit der Zeit wirst du jedoch ein gutes Gefühl für die Belichtung entwickeln und vielleicht die App nicht mehr benötigen – du wirst die Zeit dann nach Gefühl einstellen können.

f/10 | 203 Sek. | 23 mm | ISO 200 | ND 1000

Noch drei wertvolle Tipps für Langzeitbelichtungen:

Bei sehr langen Belichtungszeiten kann es vorkommen, dass sogenannte Hotpixel entstehen – kleine rote oder blaue Punkte in deinem Bild. Um dies zu vermeiden, decke den Sucher deiner Kamera mit der Sucherkappe ab, die oft am Kameragurt befestigt ist. Dadurch wird verhindert, dass Licht durch den Sucher in die Kamera eindringt. In der Astrofotografie wird dieses Problem durch die Verwendung von sogenannten Dunkelbildern (auch Darkframes genannt) angegangen. Um ein Dunkelbild zu erstellen, decke das Objektiv mit der Objektivkappe ab und belichte es für die gleiche Zeit wie die eigentliche Aufnahme. Es ist empfehlenswert, vor und nach der Aufnahme jeweils drei Dunkelbilder zu machen.

Viele Kameras bieten eine Rauschreduzierung für lange Belichtungen. Ich persönlich deaktiviere diese Funktion, da der Rauschreduzierungsprozess genauso lange dauert wie die eigentliche Belichtung, was unnötig viel Zeit in Anspruch nehmen kann.

Beachte außerdem, dass Graufilter, insbesondere der ND 1000, Farbstiche verursachen können. Bei Verwendung des NiSi ND 1000 konnte ich dies jedoch nicht feststellen. Um mögliche Farbverfälschungen zu korrigieren, empfiehlt es sich, im RAW-Format zu fotografieren, sodass du die Farben in der Nachbearbeitung anpassen kannst.

7. Langzeitbelichtung von Menschen

Langzeitbelichtung bedeutet nicht immer, dass du mehrere Sekunden belichten musst. Bereits eine Belichtungszeit von etwa 1/15 Sekunde kann als längere Belichtung betrachtet werden. Für den Menschen ist eine Belichtungszeit von 1/15 Sekunde sehr kurz, aber für die Kamera stellt sie schon eine längere Zeit dar. Wenn du also einen sich bewegenden Menschen fotografierst, wird dieser auf dem Bild verschwommen dargestellt.

Lange Belichtungszeiten eignen sich besonders gut, um die Dynamik von Menschen einzufangen. Wenn du ein markantes Bauwerk fotografierst, kann es sehr spannend wirken, verschwommene Menschen darauf festzuhalten. Besonders in städtischen Gebieten lassen sich durch die Bewegung von Menschen in Verbindung mit der statischen Architektur interessante, dynamische Bilder erstellen.

Möchtest du auf Reisen eine vielbesuchte Sehenswürdigkeit fotografieren und diese möglichst ohne Menschen abbilden? Schraube einfach einen Graufilter auf dein Objektiv und belichte so lange, bis die sich bewegenden Menschen aus dem Bild „verschwinden“. Dieser Effekt funktioniert jedoch nur, wenn sich die Menschen bewegen. Leider ist das heutzutage nicht mehr ganz so einfach, da durch den Selfie-Trend und Instagram viele Menschen oft stillstehen.

f/11 | 20 s | ISO 100 | 105 mm | ND 1000